Peter Raabe zwischen Kunst und Politik - Der Aachener GMD im Nationalsozialismus
Sonntag, 28.09.2025 um 11 Uhr im Spiegelfoyer des Theater Aachen
Vortrag von Lutz Felbick
Prof. Dr. Dr. Peter Raabe (1872–1945) übernahm 1920 die Stelle des Generalmusikdirektors der Stadt Aachen. Anschließend wurde er 1935 in Berlin zum Präsidenten der Reichsmusikkammer berufen. Sein Hauptinteresse galt den großen sinfonischen Werken. Als promovierter Musikwissenschaftler veröffentlichte er zu Liszt bedeutende Schriften. Sämtliche Sinfonien von Beethoven und Brahms besprach er taktweise in seiner Hauptschrift Werktreues Dirigieren (Edition 2026). Nur noch pro forma war Raabe Joseph Goebbels ab 1940 unterstellt, denn dieser wollte sich von dem „giftigen Kampfhahn“ trennen. Auch Raabe bat vielfach um Amtsenthebung, die ihm aber öffentlich nicht gewährt wurde. Dennoch wurde seine Haupttätigkeit als Musikwissenschaftler in den Kriegszeiten geduldet.
In den wissenschaftlichen Arbeiten von Nina Okrassa und Lutz Felbick werden Raabes Licht- und Schattenseiten aufgezeigt:
Im Gegensatz zu den meisten Nationalsozialisten stand Raabe einerseits der zeitgenössischen Musik grundsätzlich positiv gegenüber. Im Städtischen Konzerthaus in der Couvenstraße führte er sogar Werke von Arnold Schönberg auf und gründete 1927 den „Verein zur Pflege Neuer Musik“. Nicht zufällig ist heute an dieser Stelle die von Jazzmusikern gegründete Gesellschaft für zeitgenössische Musik Aachen (GZM) in der Klangbrücke tätig.
Andererseits unterzeichnete Raabe als Präsident der Reichsmusikkammer etwa 3.000 Schriftstücke mit der Konsequenz, dass vornehmlich jüdische Musiker ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten.
Aufgrund seiner Bemühungen kam es einerseits dazu, dass der Begriff „Kulturorchester“ zum Rechtsbegriff wurde. Hier sollte vornehmlich das „hohe Kulturgut deutscher Musik“ gepflegt werden. Es war das kulturpolitische Hauptanliegen Raabes, Orchestermusiker für alle Zeiten sozial abzusichern. Andererseits kämpfte er lebenslang gegen die angeblichen Entartungen der „Niggermusikkapellen“, der angeblichen Bedrohung der deutschen Kultur. Eine soziale Absicherung für Jazzmusiker war auf der Basis dieser Denkmuster ausgeschlossen.
Die genannten Begrifflichkeiten prägten noch in der Nachkriegszeit die kulturpolitischen Strukturen. Der NS-Rechtsbegriff Kulturorchester ist bis zum heutigen Tag bei der Altersversorgung der Orchester nachweisbar. In finanzieller Hinsicht wird mit dieser monokulturellen sinfonischen Schwerpunktsetzung in Deutschland ein weltweit einmaliger Standard gesetzt. Diesen hätte es ohne Raabe nicht gegeben. Sein weiterhin bestehender Einfluss auf die heutigen Strukturen der Musikpolitik wurde Gegenstand zahlreicher kulturpolitischer Diskussionen.
aus: e-mail-Einladung (17.7.25) zum Vortrag von Lutz Felbick


